Aktuell in der Ubg
Zur Verfassungsmäßigkeit des § 4k EStG (Kockrow, Ubg 2024, 179)
Das Betriebsausgabenabzugsverbot in § 4k EStG bei Besteuerungsinkongruenzen infolge hybrider Gestaltungen ist Gegenstand vielfältiger materiell-steuerrechtlicher, unionsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Diskussionen. Letztere betreffen bislang insbesondere die Fragen nach einem Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sowie einem Überschreiten der Hürden eines sog. strukturellen Vollzugsdefizits. Der Beitrag analysiert die Verfassungsmäßigkeit der Norm formell und materiell insbesondere anhand des Leistungsfähigkeitsprinzips und des Folgerichtigkeitsgebots, den Prinzipien des Ertragsteuerrechts und den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsätzen.
I. Grundzüge der Besteuerungsinkongruenzen infolge hybrider Gestaltungen
II. Formelle Verfassungsmäßigkeit
III. Materielle Verfassungsmäßigkeit
1. Leistungsfähigkeitsprinzip und Folgerichtigkeitsgebot
a) Anwendung auf grenzüberschreitende Qualifikationskonflikte
b) Verletzung durch das Korrespondenzprinzip in § 4k EStG
c) Sachlicher Grund
d) Verhältnismäßigkeit
2. Systemprinzipien des Ertragssteuerrechts
a) Durchbrechung des Dualismus der Einkunftsarten zugunsten des synthetischen Einkommensbegriffs
b) Verletzung des objektiven Nettoprinzips durch Versagung des Betriebsausgabenabzugs
c) Verletzung des Veranlassungsprinzips in § 4 Abs. 4 EStG
3. Rechtsstaatliche Prinzipien
a) Unzulässige Rückwirkung für den Veranlagungszeitraum 2020
b) Keine Verletzung des Bestimmtheitsgebots durch die Verwendung sog. unbestimmter Rechtsbegriffe
c) Möglicherweise Verletzung durch die „uferlose“ Anwendung des § 4k Abs. 5 EStG
IV. Fazit
I. Grundzüge der Besteuerungsinkongruenzen infolge hybrider Gestaltungen
Der deutsche Gesetzgeber hat in § 4k EStG die sog. Anti-Hybrid-Regeln umgesetzt, die sich auf Art. 2 Abs. 9, Art. 9 und 9b der Anti-Tax Avoidance Directive (ATAD) und die Vorschläge der OECD in Aktionspunkt 2 des Base-Erosion-Profit-Shifting-Projekts (BEPS-Projekt) zurückführen lassen. Im Juli 2023 erweiterte das BMF den fachlichen Diskussionsstand um seine – die Landesfinanzverwaltungen nach Art. 108 Abs. 3 Satz 2 und Art. 85 Abs. 3 GG bindende – Verwaltungsauffassung mit einem Entwurf eines Schreibens.
Die in dieser Systematik enthaltenen unilateralen Maßnahmen de lege ferenda sollen die Besteuerungsinkongruenzen infolge hybrider Gestaltungen (sog. Hybrid Mismatches) lösen. Besteuerungsinkongruenzen entstehen durch eine zwischen zwei Jurisdiktionen abweichende Qualifikation, Zurechnung oder Zuordnung von Zahlungen, die insbesondere zu einem Abzug bei gleichzeitiger Nichtbesteuerung (Deduction/No Inclusion – D/NI-Ergebnis) bzw. einem doppelten Abzug von Aufwendungen (Double Deduction – DD-Ergebnis) führt. Deshalb eignen sich die Hybrid Mismatches im Rahmen der Steuergestaltung und -planung zur steuerlichen Optimierung multinationaler Konzerne und waren Gegenstand medialer Aufmerksamkeit. Wesentlicher Unterschied und überschießende Umsetzung der Richtlinie ist die Wahl des Aufwendungs- anstelle eines Zahlungsbegriffs in § 4k EStG. Die vielfältigen Formen hybrider Gestaltungen und der daran anknüpfenden Besteuerungsinkongruenzen spiegeln sich auch in dem kaskadenhaften Aufbau des § 4k EStG wider.
Der folgende Beitrag ergänzt die bisherigen Diskussionen um und beschränkt sich auf eine Analyse des § 4k EStG anhand von verfassungsrechtlichen Frage- und Problemstellungen. Letztere betreffen bislang vor allem die Diskussionen um einen möglichen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sowie das Vorliegen eines sog. strukturellen Vollzugsdefizits. Entsprechende materiell-steuerrechtliche bzw. unions- und abkommensrechtliche Untersuchungen sowie Fragen der Effektivität, Effizienz und Praktikabilität der Norm als Bewertungskriterien der Legisprudenz sind der Vielzahl an bislang erschienenen Fachbeiträgen und Dissertationsschriften zu entnehmen.
Die staatsorganisationsrechtliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes umfasst „klassischerweise“ sowohl formelle (II.) als auch materielle (III.) Ausführungen, die im folgenden Beitrag insbesondere das Leistungsfähigkeitsprinzip aus Art. 3 Abs. 1 GG (III.1.) sowie die rechtsstaatlichen Prinzipien des Rückwirkungsverbots (III.2.a]) und des Bestimmtheitsgebots (III.2.b]) aus Art. 20 Abs. 3 GG umfassen.
II. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Zur formellen Verfassungsmäßigkeit bedarf es einer Gesetzgebung durch das zuständige Organ, im vorgeschriebenen Verfahren und in der vorgeschriebenen Form.
Grundlage für die Umsetzung der Anti-Hybrid-Regeln der ATAD in § 4k EStG seitens der Bundesrepublik Deutschland ist ihre verfassungsrechtliche Öffnungsklausel in Art. 23 Abs. 1 GG. Während Satz 1 die Mitwirkung am europäischen Integrationsprozess zu einer Staatszielbestimmung erklärt, ermächtigt Satz 2 den Bund zur Übertragung von Hoheitsrechten wie etwa zum Erlass der in Art. 288 AEUV genannten Rechtsakte zur Harmonisierung. Dabei gilt jedoch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV. Die Kompetenz der EU wird so auf die ausdrücklich genannten Rechtsetzungskompetenzen begrenzt (keine sog. Kompetenz-Kompetenz). Mangels Harmonisierungsauftrags – wie etwa in Art. 113 AEUV für die Umsatzsteuer – ist auf die Kompetenz für die Angleichung mitgliedstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Art. 115 AEUV zu verweisen, die sich unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts nach Art. 26 Abs. 1 AEUV auswirken. Ob die ATAD I und II auf die Kompetenz aus Art. 115 AEUV gestützt werden durfte, ist umstritten. Dagegen könnten das Subsidiaritätsprinzip und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 5 Abs. 3, 4 EUV stehen. Da der Schwerpunkt dieses Beitrags nicht auf der Unionsrechtskonformität liegt, ist hierbei bloß zu nennen, dass einer Erforderlichkeit der ATAD I und II die Mitarbeit der EU am BEPS-Projekt der OECD-Staaten sowie einer Effizienz die Mindestschutzregelung in Art. 3 ATAD entgegensprechen könnte, und im Weiteren von der Kompetenz der EU zur Rechtsetzung im Fall der ATAD I und II auszugehen.
Umgekehrt gilt für die mitgliedstaatliche Umsetzung von europäischem Sekundärrecht (...)