Kurzbesprechung
Zur Verletzung des Steuergeheimnisses
Eine Verletzung des Steuergeheimnisses liegt nicht vor, wenn (Roh-)Gewinndaten und Vertriebskosten des Bauträgers von zu sanierenden Wohnungen für die korrekte Berechnung der Absetzung für Abnutzung gemäß den §§ 7h und 7i des Einkommensteuergesetzes in einem Prüfungsbericht dargestellt werden und deshalb die Erwerber der Wohnungen und Feststellungsbeteiligten von diesen Daten Kenntnis erlangen könnten.
BFH v. 17.10.2023 - VII R 19/20
AO § 30 Abs 2 Nr. 1, § 30 Abs 4 Nr. 1, § 202
EStG § 7h, § 7i
BGB § 1004 Abs 1
GG Art 2 Abs 1, Art 20 Abs 3
FGO § 40 Abs 1, § 40 Abs 2
HGB § 255
Die Steuerpflichtige ist eine Bauträgerin. Ihr Geschäftszweck bestand unter anderem im Ankauf von Grundstücken, die mit Mehrfamilienhäusern bebaut waren, deren Aufteilung in Wohnungseigentum, der Sanierung und dem Weiterverkauf der Wohnungen. Zu diesem Zweck schloss sie mit den Erwerbern der Wohnungen Verträge ab, die regelmäßig als Modernisierungswerk- und Kaufverträge bezeichnet wurden. In allen hier streitigen Fällen war zum Zeitpunkt des Abschlusses der jeweiligen notariellen Verträge bereits mit der Sanierung der Wohnungen begonnen worden.
Die Betriebsprüfungsstelle des FA beabsichtigte, entsprechende Prüfungsberichte mit von der Steuerpflichtigen abweichenden Besteuerungswerten zu erstellen. Die Steuerpflichtige machte daraufhin unter Berufung auf das Steuergeheimnis geltend, dem FA zu untersagen, ihre Geschäftsdaten wie Rohgewinn, Vertriebskosten, Bautenstandsüberzahlungen in die bis zum Kaufvertragsabschluss entstandenen Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen einzurechnen und in einem Prüfungsbericht auszuwerten.
Der BFH sah in dem vom FA geplanten Vorgehen jedoch keine Verletzung des Steuergeheimnisses.
Ein Amtsträger verletzt nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO das Steuergeheimnis, wenn er personenbezogene Daten eines anderen, die ihm unter anderem in einem Verwaltungsverfahren in Steuersachen bekannt geworden sind, unbefugt offenbart oder verwertet.
Nach § 30 Abs. 2 Nr. 2 AO sind ausdrücklich fremde Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geschützt. Ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis wird in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb a.F. (jetzt § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen) von Tatsachen gebildet, die im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehen, die nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt und nicht allgemein zugänglich sind und die nach dem erkennbaren Willen des Berechtigten nicht bekannt werden sollen. Hiermit sind zum Beispiel Know-how, Kalkulationen, Bilanzen, Prospekte, Kundenlisten und so weiter gemeint.
Das Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis muss einem Amtsträger in einem der in § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO genannten Verfahren (dienstlich) bekannt geworden sein. Bei den im Streitfall betroffenen Daten über den Rohgewinn etc. handelt es sich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Diese waren dem Betriebsprüfer im Rahmen einer Außenprüfung bekannt geworden und würden durch die Aufnahme in die Prüfungsberichte mit großer Wahrscheinlichkeit Dritten offenbart werden. Denn der Inhalt der Prüfungsberichte ist gegenüber den Erwerbern spätestens im Rahmen eines Einspruchsverfahrens nach § 364 AO offenzulegen; diese Norm wird von § 30 AO nicht eingeschränkt. Die den jeweiligen Einspruchsführer direkt betreffenden Passagen können offengelegt werden. Folglich ist mit der Aufnahme von Feststellungen in die Prüfungsberichte die spätere Offenbarung gegenüber den Erwerbern hinreichend konkret.
Im Streitfall war das FA jedoch zur Offenbarung der Daten befugt. Denn nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist die Offenbarung der das Steuergeheimnis betreffenden Verhältnisse eines Dritten zulässig, wenn sie unter anderem der Durchführung eines Besteuerungsverfahrens dient. Dies ist dann der Fall, wenn die Daten eine Prüfung der in einem solchen Verfahren relevanten Tatbestandsmerkmale ermöglichen, erleichtern oder auf eine festere Grundlage stellen können. Es muss ein unmittelbarer funktionaler Zusammenhang zwischen der Offenbarung und der Verfahrensdurchführung bestehen. Im Streitfall bestand ein unmittelbarer funktionaler Zusammenhang zwischen der Offenbarung der streitgegenständlichen Daten und der Berechnung der Höhe der AfA nach dem im Streitfall in allen Erwerbsfällen ausschließlich zu berücksichtigenden § 7i EStG bei den Erwerbern.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht dem Ergebnis, dass die Daten über den Rohgewinn etc. folglich in den Prüfungsberichten zur richtigen Aufteilung der jeweiligen Anschaffungskosten zu erfassen sind und hierdurch nicht das Steuergeheimnis verletzt wird, nicht entgegen. Bei einer nach § 30 Abs. 4 AO grundsätzlich zulässigen Offenbarung eines Steuergeheimnisses ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Offenbarung muss dem Zweck der in dem anderen Verfahren bestehenden Aufsichts- und Ermittlungsaufgaben entsprechen und darf nicht über den zur Erreichung des steuerlichen Zwecks erforderlichen Umfang hinausgehen. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt. Denn die streitgegenständlichen Daten waren für die zutreffende Veranlagung der Erwerber erforderlich. Eine Möglichkeit zur zumutbaren anderweitigen Erlangung der dargestellten relevanten Informationen war nicht ersichtlich.