Kurzbesprechung
Zeitpunkt der Berücksichtigung des Gewinns aus einem Wegzugsteuertatbestand gem. § 6 AStG
Ein Gewinn aus dem Wegzugsteuertatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des AStG i.d.F. des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006 (BGBl. I 2006, 2782) ist unmittelbar vor dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland eintritt (entgegen Schreiben des BMF v. 26.10.2018, BStBl. I 2018, 1104, Tz. 1).
BFH v. 16.4.2024 - IX R 38/21
AStG i.d.F. des SEStEG § 6 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 4;
AStG i.d.F. des ZollkodexAnpG § 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 4;
EStG § 17 Abs. 1 S. 1, 3;
DBA Spanien Art. 13 Abs. 2, Art. 22 Abs. 2 Buchst. b, Art. 30 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. ii;
AO § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 125 Abs. 1, § 164 Abs. 2 S. 1
In 2006 erhielt der Kläger und dessen Bruder durch Übertragung durch die Elterns jeweils 24 % der Anteile an der A-Gesellschaft. Die Eltern hatten zuvor ihr in Spanien belegenes Ferienhaus gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in eine "Sociedad de responsabilidad limitada" (S.L.), eine Kapitalgesellschaft spanischen Rechts (A Gesellschaft), eingebracht. Nach Abgabe seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2013 setzte der Kläger das für ihn seinerzeit zuständige FA I mit einem als "Berichtigungserklärung gem. § 153 AO" benannten Schreiben über den Erwerb des Ferienhauses, dessen Einbringung in die A-Gesellschaft und die Übertragung von Gesellschaftsanteilen in Kenntnis. Die Verfügung zur Einkommensteuerveranlagung 2013 für den Kläger wurde am 21.11.2014 durch den zuständigen Sachbearbeiter gezeichnet und ein Bescheid zum maschinellen Versand durch das Rechenzentrum der Finanzverwaltung freigegeben. Die Veranlagung, die nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergehen sollte, enthielt keine Besteuerungsgrundlagen, die die Anteile des Klägers an der A-Gesellschaft betrafen. Am 1.12.2014 verfügte der zuständige Sachgebietsleiter der Veranlagungsstelle des FA ein an die damaligen steuerlichen Vertreter des Klägers gerichtetes Schreiben, in dem auf die Aufgabe des Bekanntgabewillens für den Bescheid vom 2.12.2014 hingewiesen und zugleich angekündigt wurde, dass in Kürze ein neuer Bescheid ergehe. Aufgrund eines Postrückläufers wurde dieses Schreiben später erneut versandt und ging den steuerlichen Vertretern am 15.12.2014 zu. Bereits zuvor, am 3.12.14, erhielten die steuerlichen Vertreter den Einkommensteuerbescheid vom 2.12.14. Das FA I erließ am 16.12.2014 und erneut am 25.2.2015 ESt-Bescheide für das Streitjahr, die hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen keine Änderungen zum Bescheid vom 2.12.14 enthielten, aber jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen. Am 29.6.2015 änderte das FA I die Einkommensteuerfestsetzung gem. § 164 Abs. 2 AO und berücksichtigte erstmals einen Entstrickungsgewinn als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Mit diesem Bescheid vom 29.6. sprach das FA I zudem eine zinslose Stundung der auf den Entstrickungsgewinn entfallenden Steuer gem. § 6 Abs. 5 AStG aus.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG Köln der dagegen gerichteten Klage statt und urteilte, dass ein Entstrickungsgewinn bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht nachträglich hätte berücksichtigt werden dürfen. Die Voraussetzungen für die Besteuerung eines Entstrickungsgewinns gem. § 6 AStG lägen nicht vor.
Die dagegen eingelegte Revision des FA wies der BFH nun als unbegründet zurück. Der 9. Senat urteilte, dass die angegriffene Entscheidung zwar Bundesrecht verletze, als das FG angenommen habe, die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2013 hätte bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden können. Die Vorinstanz habe im Ergebnis aber zutreffend befunden, dass für das Streitjahr keine materielle Rechtsgrundlage bestand, einen Entstrickungsgewinn als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen. Es bedürfe keiner Entscheidung darüber, ob das zum 1.1.2013 in Kraft getretene revidierte DBA-Spanien den steuerlichen Entstrickungstatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG ausgelöst habe. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, hätte ein Entstrickungsgewinn für das Streitjahr 2013 nicht erfasst werden dürfen.
Der Senat führt weiter aus, dass sein hier vertretenes Verständnis inzwischen auch vom Gesetzgeber getragen werde. Durch das ATADUmsG vom 25.6.2021 wurde für Fälle des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG (jetzt § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG) erstmals ausdrücklich grds. mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2022 festgelegt, dass die "Veräußerung" unmittelbar vor dem Zeitpunkt, zu dem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts eintritt, erfolgt (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG i.d.F. des ATADUmsG). In der Gesetzesbegründung wird angeführt, dass die fingierte Veräußerung im Fall eines beispielsweise zum 1.1.01 anzuwendenden DBA mit Ablauf des 31.12.00 erfolge (BT-Drucks 19/28652, S. 48). Nach Auffassung des Senats handele es sich dabei um eine Klarstellung der schon zuvor geltenden Rechtslage.