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OLG Schleswig-Holstein v. 11.10.2024 - 17 U 4/24

Steuervorteil „nur einmal im Leben“: Steuerberater haftet wegen unterlassenem Hinweis

Es stellt eine Pflichtverletzung eines Steuerberaters dar, wenn dieser nicht den Mandanten auf einen von ihm erkannten Fehler des Finanzamts hinweist, bei dem das Risiko nachteiliger Folgewirkungen für den Mandanten besteht. So liegt es bei einer Falschanwendung des § 34 EStG durch das Finanzamt, weil und soweit der auf diese Weise gemäß § 34 Abs. 3 EStG erhaltene Steuervorteil vom Steuerpflichtigen „nur einmal im Leben“ in Anspruch genommen werden kann.

Der Sachverhalt:
Die Kläger verlangen von der Beklagten, einer Steuerberaterpartnerschaft, Schadensersatz wegen Verletzung von Beratungspflichten im Zusammenhang mit einem Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 2006.

Die Kläger sind miteinander verheiratet und wurden für die Jahre 2006 und 2016 jeweils zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war bis Januar 2016 Mitinhaber einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis für Radiologie.

Die Kläger hatten die Beklagte mit der Prüfung des Steuerbescheides über Einkommensteuer des Finanzamtes für das Veranlagungsjahr 2006 beauftragt. In dem Jahr hatte die Gemeinschaftspraxis des Klägers Nachzahlungen der Kassenärztlichen Vereinigung in Höhe von ca. 40.000 € erhalten, die dem Kläger vom Finanzamt in einem Feststellungsbescheid anteilig in dieser Höhe als laufende tarifbegünstigte Einkünfte im Sinne des § 24 Nr. 1 und 3 EStG bzw. § 34 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 EStG zugerechnet worden waren. Bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer für 2006 erfasste das Finanzamt, ohne dass der Kläger einen entsprechenden Antrag gestellt hatte und ohne dass die weiteren Voraussetzungen gegeben waren, diesen Betrag rechtswidrig als Veräußerungsgewinn und wendete den ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 3 S. 1 EStG darauf an, was zugunsten der Kläger zu einer Steuerminderung von ca. 8.000 € führte.

Die Beklagte erkannte, dass das Finanzamt diesen für die Kläger damals günstigeren, allerdings unzutreffenden Steuersatz angewendet hatte und teilte das den Klägern auch mit. Gleichwohl sah er von einem Einspruch ab, da dieser zu einer noch höheren Nachzahlung führen würde.

Zehn Jahre später im Jahr 2016 veräußerte der Kläger seinen Anteil an der Gemeinschaftspraxis mit einem Veräußerungsgewinn von ca. 1.200.000 €. Die Beklagten beantragten in der Steuererklärung für das Jahr 2016 für die Kläger, auf den Veräußerungsgewinn den ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 3 EStG wegen Vollendung des 55. Lebensjahres anzuwenden. Das Finanzamt lehnte dies ab, da der Steuerpflichtige gemäß § 34 Abs. 3 S. 4 EStG diese Ermäßigung nur einmal im Leben in Anspruch nehmen könne und sie schon bei der Einkommensteuerfestsetzung 2006 berücksichtigt worden sei.

Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht gewährte zunächst noch den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG auf den Veräußerungsgewinn des Klägers in Höhe der ca. 1.200.000 €. Der BFH hob dieses Urteil des FG jedoch auf (BFH v. 28.9.2021 - VIII R 2/19) mit er Begründung, dass der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes des § 34 Abs. 3 S. 1 EStG die Norm des § 34 Abs. 3 S. 4 entgegenstehe, wonach der Steuerpflichtige die Ermäßigung nach den Sätzen 1 bis 3 nur einmal im Leben beanspruchen könne.

Die Kläger klagten auf Schadensersatz gegen die Steuerberaterpartnerschaft, denn diese habe gegen Sorgfaltspflichten verstoßen, indem sie von der Einlegung eines Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 abgesehen habe. Sie bezifferten den Schaden auf eine Höhe von ca. 224.000 €, der dadurch entstanden sei, dass der Steuervorteil aus § 34 EStG sorgfaltspflichtwidrig für einen vergleichsweise kleinen Betrag im Jahr 2006 verbraucht worden sei und sodann nicht mehr für den Veräußerungsgewinn von erheblicher Größe im Jahr 2016 zur Verfügung stand.

Das LG gab der Klage überwiegend statt. Das OLG hat nun die dagegen erhobene Berufung der Steuerberaterpartnerschaft abgewiesen.

Die Gründe:
Den Klägern steht gegenüber der Beklagten im Ausgangspunkt ein Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung eines Steuerberatervertrages zu. Denn unstreitig bestand zwischen den Parteien ein Steuerberatungsvertrag, der jedenfalls die Prüfung des Einkommensteuerbescheides der Kläger für das Veranlagungsjahr 2006 umfasste. Den Klägern ist aufgrund einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten ein Schaden entstanden.

Wie das LG richtig herausgestellt hat, erkannte die Beklagte, dass das Finanzamt in dem Bescheid für 2006 die Nachzahlungen der Kassenärztlichen Vereinigung an die Gemeinschaftspraxis fehlerhaft als Veräußerungsgewinn des Klägers mit dem ermäßigten Steuersatz angesetzt hatte. Dass diese Handhabung des Finanzamtes rechtswidrig war, ergibt sich zum einen schon daraus, dass der dafür erforderliche Antrag seitens der Kläger nicht gestellt worden war, zum anderen daraus, dass die Einnahme aus der Zahlung der Kassenärztlichen Vereinigung kein Veräußerungsgewinn im Sinne des § 34 Abs. 2 EStG war und dem Kläger überdies nach dem vorausgegangenen Feststellungsbescheid wohl auch nur anteilig hätte zugerechnet werden dürfen. Aus dem internen Vermerk der Beklagten lässt sich entnehmen, dass ihr der Fehler im Steuerbescheid auch aufgefallen war. Dort ist vermerkt, es sei nicht der Fünftelsatz, mithin nicht die Grundregel des § 34 Abs. 1 EStG für außerordentliche Einkünfte, sondern § 34 Abs. 3 EStG angewandt worden, obwohl dies „nicht beantragt“ gewesen sei.

Im Rahmen ihres Beratungsauftrags hätte die Beklagte erkennen müssen, dass diese Handhabung durch das Finanzamt möglicherweise dazu führen könnte, dass die Kläger den begünstigten Steuersatz später nicht mehr würden nutzen können. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass es seinerzeit zwar keine ausdrückliche einschlägige Rechtsprechung gab, die die Beklagte hätte kennen müssen, allerdings sich schon aufgrund des Wortlauts des § 34 Abs. 3 Satz 4 EStG, wonach der Steuerpflichtige die Ermäßigung nur einmal im Leben in Anspruch nehmen kann, für die Beklagte hätte aufdrängen müssen, dass hier der mögliche „Verbrauch“ der Steuervergünstigung für eine vergleichsweise geringe Einnahme drohte. Der Beklagten waren die beruflichen Umstände der Kläger, insbesondere die freiberufliche ärztliche Tätigkeit des Klägers, bekannt, so dass auch die Beklagte damit rechnen musste, dass sich für den Kläger zu einem späteren Zeitpunkt hohe Veräußerungsgewinne im Zusammenhang mit der altersbedingten Aufgabe der Praxis ergeben könnten.

Seinerzeit existierte auch keine Rechtsprechung, wonach die Ermäßigung bei fehlerhafter Gewährung durch das Finanzamt später entgegen § 34 Abs. 3 Satz 4 EStG noch in Anspruch genommen werden könne. Vielmehr hatte der BFH vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt nach der Bekanntgabe des Steuerbescheides für 2006 in verschiedenen Entscheidungen zum sog. „Objektverbrauch“ wiederholt die Auffassung vertreten, eine Steuerermäßigung sei auch dann „verbraucht“, wenn sie gewährt worden sei, ohne dass die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben gewesen seien.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Mehrfache Gewährung der Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG?
BFH vom 28.9.2021 - VIII R 2/19
Michael Glanemann, EStB 2022, 42

Aufsatz:
Verbrauch der Ermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG bei fehlendem Veräußerungsgewinn?
Christian Weber, StSem 2022, 106

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.10.2024 16:25
Quelle: Justiz Schleswig-Holstein online

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