Kurzbesprechung
Anforderung von Unterlagen durch die Finanzbehörde
1. Die Anforderung unter anderem von Mietverträgen durch das Finanzamt (FA) beim Vermieter (Steuerpflichtigen) nach § 97 der Abgabenordnung muss die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) beachten.
2. Eine Einwilligung der Mieter in die Weitergabe an das FA ist nicht erforderlich, weil die Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c DSGVO gerechtfertigt ist.
3. Die Übersendung der Mietverträge an das FA ist als Zweckänderung nach Art. 6 Abs. 4 DSGVO regelmäßig zulässig.
BFH v. 13.8.2024 - IX R 6/23
EUV 2016/679 Art 6 Abs 1 UAbs 1 Buchst c, 2016/679 Art 6 Abs 1 UAbs 1 Buchst e, 2016/679 Art 6 Abs 4
AO § 5, § 29b, § 93, § 97
GG Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1, Art 20 Abs 3, Art 101 Abs 1, Art 103 Abs 1
FGO § 96 Abs 2
BDSG § 42
AEUV Art 267 Abs 3
Streitig war die Rechtmäßigkeit einer Anforderung von Unterlagen durch die Finanzverwaltung. Mit den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2018 und 2019 legte die Steuerpflichtige für ihre Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung verschiedener Objekte unter anderem Aufstellungen der gesamten Mieteinnahmen, der Abschreibung, der Verwaltungs- und der Instandhaltungsaufwendungen sowie sonstiger Aufwendungen für das jeweilige Objekt vor. Im Rahmen der Bearbeitung der Erklärungen forderte das FA Kopien der aktuellen Mietverträge, Nebenkostenabrechnungen sowie Nachweise über geltend gemachte Erhaltungsaufwendungen an.
Hierauf legte die Steuerpflichtige eine Aufstellung der Brutto- und Nettomieteinnahmen mit geschwärzten Namen der Mieter sowie der Betriebskosten für die verschiedenen Wohnungen und Unterlagen über die Instandhaltungsaufwendungen vor, jedoch nicht die angeforderten Mietverträge und Nebenkostenabrechnungen. Zur Begründung führte sie an, die Offenlegung dieser Unterlagen sei im Hinblick auf die Grundsätze der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ohne vorherige Einwilligung der Mieter nicht möglich. Zudem sei das FA zur Unterlagenanforderung nicht berechtigt, da die Mietverträge zur Prüfung der tatsächlichen Einkünfte untauglich seien.
Einspruch und nachfolgend auch die Klage blieben ohne Erfolg. Im Revisionsverfahren bestätigte der BFH die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz und wies die Revision als unbegründet zurück.
Der BFH entschied, dass die Steuerpflichtige als Verantwortliche im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DSGVO nicht berechtigt war, die Herausgabe der Mieterdaten zu verweigern.
Nach § 97 Abs. 1 Satz 1 AO (i.d.F. des Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetzes vom 26.06.2013, BGBl I 2013, 1809, 1834) haben die Beteiligten und andere Personen der Finanzbehörde auf Verlangen Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen. Die Aufforderung zur Vorlage der Urkunde ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 118 AO und im Zusammenhang mit den Auskunftsersuchen nach § 93 AO zu sehen.
Die Anwendung des § 97 AO war im Streitfall nicht nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO ausgeschlossen. Denn das FG hatte die Vorlageverlangen des FA nicht als Prüfungshandlung gewürdigt.
Die Vorlage von Urkunden unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das heißt, sie muss zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und die Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar sein. Die Vorlage einer Urkunde muss zudem zur Sachverhaltsaufklärung geeignet sein. Das ist nicht der Fall, wenn die Urkunden steuerlich nicht erheblich sind.
Zu den steuerlich erheblichen Tatsachen zählt alles, was die finanzbehördlichen Entscheidungen in einem steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren beeinflussen kann. Die in diesem Sinne erheblichen, mitzuteilenden "Tatsachen" müssen lediglich im Rahmen einer Prognoseentscheidung möglich sein (. Die Finanzbehörde hat hierüber im Wege einer vorweggenommenen Beweiswürdigung zu befinden. Im Interesse der gesetzmäßigen und gleichmäßigen Besteuerung und zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen Verifikationsprinzips sind die Anforderungen an diese Prognoseentscheidung nicht zu hoch anzusetzen.
Die angeforderten Urkunden müssen zudem benötigt werden. Das ist nicht gegeben, wenn die steuerrelevanten Tatsachen offenkundig oder verbindlich festgestellt sind.
Der Steuerpflichtige beziehungsweise die andere Person muss die verlangten Unterlagen vorlegen können. Durch ein von privater Seite ergangenes oder vertraglich vereinbartes Verbot zur Herausgabe einer Urkunde wird die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Urkundenvorlage nicht unerfüllbar.
Schließlich muss die Vorlageaufforderung verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Der zeitliche, personelle und sachliche (finanzielle) Aufwand für die vorlagepflichtige Person darf nicht erkennbar in einem Missverhältnis zu dem durch dieses Beweismittel zu erwartenden "Mehr" an wahrheitsgemäßer Sachverhaltsaufklärung stehen.
Vor dem Hintergrund der vorgenannten Grundsätze waren die streitgegenständlichen Vorlageverlangen des FA rechtmäßig. Das FA hatte in der Einspruchsentscheidung ausgeführt, dass es die Mietverträge zur Kontrolle der steuererheblichen Verhältnisse benötige und diese ein geeignetes Mittel darstellten. Aus den Mietverträgen ‑ gegebenenfalls in Verbindung mit anderen Unterlagen ‑ würden sich unter anderem die Höhe der vereinbarten Mietzinsen, Mieterhöhungen, Abweichungen zu tatsächlich geleisteten Zahlungen, die Zusammensetzung des Mietzinses, die Umlagefähigkeit von Nebenkosten, der Umfang des Nutzungsrechts und die tatsächliche Durchführung der Vermietung ergeben. Ein anderes, gleich wirksames Mittel der Aufklärung sei nicht ersichtlich. Insbesondere könnten das nicht die privaten Aufstellungen der Steuerpflichtigen sein, weil sie nur durch diese ‑ ohne Beteiligung der Mieter ‑ erstellt worden seien. Die Namen der Mieter seien erforderlich, um die Zahlungsflüsse dem jeweiligen Mietverhältnis zuordnen zu können.
Der Steuerpflichtigen war die Offenlegung der Mieterdaten auch nicht unmöglich, weil darin eine rechtswidrige Verarbeitung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 DSGVO zu sehen ist. Ungeachtet der Frage, ob die Datenschutz-Grundverordnung auf die durch die Steuerpflichtige verantworteten Verarbeitungsvorgänge Anwendung findet (Art. 2 Abs. 1 DSGVO), war jedenfalls eine Einwilligung der Mieter nicht erforderlich. Denn die Steuerpflichtige war nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c, Abs. 2 DSGVO i.V.m. § 29b Abs. 1, § 97 AO zur Offenlegung der personenbezogenen Daten ihrer Mieter berechtigt.
Das FA durfte die Daten aus den Mietverträgen auch verarbeiten. Die diesbezügliche Befugnis der Finanzbehörden, mit Vorlageersuchen entweder bei den Beteiligten (§ 97 Abs. 1 Satz 1 AO) oder bei Dritten (Satz 3 der Vorschrift) personenbezogene Daten zu erheben und zu verarbeiten, ergibt sich abschließend aus der für das gesamte steuerliche Verfahrensrecht geltenden ‑ vorgeschalteten ‑ Norm des § 29b AO. An der Erforderlichkeit der Verarbeitung hatte der BFH keinen Zweifel.
Letztlich hielt der BFH auch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV für nicht geboten. Denn eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht, wenn zu der entscheidungserheblichen Frage nach der Auslegung oder Gültigkeit des Unionsrechts bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH oder die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt.