BGH v. 8.2.2024 - IX ZR 194/22
Mittelbare Gläubigerbenachteiligung durch Zahlung von Einfuhrumsatzsteuer
Der Annahme einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung durch die Zahlung von Einfuhrumsatzsteuer stehen weder das von der Entstehung der Steuer abhängige Recht zum Vorsteuerabzug noch eine (unterstellte) Pflicht zur Berichtigung des getätigten Vorsteuerabzugs entgegen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG a.F. ist nicht auf Rechtshandlungen anwendbar, die Deckung für Forderungen aus einem Steuerschuldverhältnis gewährt haben.
Der Sachverhalt:
Der Kläger war Sachwalter in dem in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH (Schuldnerin). Das Insolvenzverfahren wurde am 30.11.2020 nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben. Der Kläger führt den vorliegenden Insolvenzanfechtungsprozess gegen die beklagte B. fort. Er verlangt Rückgewähr von Einfuhrumsatzsteuerzahlungen.
Die Schuldnerin beantragte am 27.3.2020 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung und die Durchführung eines Schutzschirmverfahrens. Mit Beschluss vom selben Tag bestellte das Insolvenzgericht den Kläger zum vorläufigen Sachwalter. Mit Schreiben vom 9.4.2020 informierte die Schuldnerin das Hauptzollamt D. über den Eröffnungsantrag. Zwischen dem 15.4.2020 und dem 15.6.2020 zahlte die Schuldnerin für die Überführung von Waren in den europäischen Binnenmarkt an das Hauptzollamt D. Einfuhrumsatzsteuer i.H.v. insgesamt rd. 13 Mio. €. Die Zahlungen brachte die Schuldnerin als Vorsteuer bei den entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungen in Abzug.
Mit Beschluss vom 1.7.2020 eröffnete das AG Düsseldorf das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin, ordnete Eigenverwaltung an und bestellte den Kläger zum Sachwalter. Mit Klage vom 21.8.2020 nahm der Kläger die Beklagte auf Rückgewähr der Einfuhrumsatzsteuerzahlungen in Anspruch. Von den Gläubigern der Schuldnerin wurde im Anschluss ein Insolvenzplan angenommen. Dieser sah eine Quote von 14 % für alle Gläubigergruppen vor und enthielt die Bestimmung, dass die bei Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtshängigen Rechtsstreitigkeiten über Insolvenzanfechtungsansprüche für Rechnung der Schuldnerin durch den Sachwalter weitergeführt werden könnten.
Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt und verurteilte die Beklagte zur Rückgewähr der Einfuhrumsatzsteuerzahlungen. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG hat die Voraussetzungen eines Rückgewähranspruchs gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 143 Abs. 1 InsO zutreffend bejaht. Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO sind erfüllt. Insbesondere wäre die beklagte B. mit den Einfuhrumsatzsteuerforderungen Insolvenzgläubigerin gewesen, wenn es nicht zu den angefochtenen Zahlungen gekommen wäre. Die angefochtenen Einfuhrumsatzsteuerzahlungen haben eine Gläubigerbenachteiligung bewirkt.
Dem steht nicht das aus § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG folgende (ursprüngliche) Recht der Schuldnerin auf Vorsteuerabzug entgegen, welches diese nach den getroffenen Feststellungen auch in Anspruch genommen hat. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG entsteht das Recht nicht erst mit der Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer, sondern bereits mit ihrer Entstehung. Es fehlt daher an der notwendigen Anknüpfung des in dem Recht zum Vorsteuerabzug liegenden Vorteils an die angefochtenen Rechtshandlungen in Gestalt der Steuerzahlungen. Anders als die Revision meint, wird die notwendige An-knüpfung nicht dadurch begründet, dass Art. 168 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Entstehung der Steuerschuld ihrer Entrichtung gleichstellt. Auswirkungen auf die Beurteilung des Vorliegens einer Gläubigerbenachteiligung nach § 129 Abs. 1 InsO ergeben sich daraus nicht.
Der Annahme einer Gläubigerbenachteiligung stünde es auch nicht entgegen, wenn die Erfüllung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs eine Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 3 UStG nach sich zöge und sich eine daraus folgende Umsatzsteuerforderung in Höhe des Rückgewähranspruchs erhöhte. Die Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs und die sich daraus ergebende Umsatzsteuerforderung wären Folge der Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs. Sie wären nicht entstanden, wenn die angefochtenen Einfuhrumsatzsteuerzahlungen nicht erfolgt wären. Durch die angefochtenen Zahlungen sind daher spätere Insolvenzforderungen über die im Insolvenzplan vorgesehene Quote hinausgehend ausgeglichen worden. Das hat die übrigen Insolvenzgläubiger benachteiligt.
Mit Recht hat das OLG erkannt, dass der Anfechtung nicht § 2 Abs. 1 Nr. 4 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes in der Fassung vom 27.3.2020 (COVInsAG a.F.) entgegensteht. Dahingestellt bleiben kann, ob die Norm anzuwenden ist, wenn die anfechtbare Rechtshandlung erst nach einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wird. Jedenfalls ist die Norm nicht auf Rechtshandlungen anwendbar, die wie im Streitfall Deckung für Forderungen aus einem Steuerschuldverhältnis gewährt haben. Der Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG a.F. sieht allerdings keine Beschränkung auf bestimmte Gläubiger vor. Die Vorschrift unterscheidet nicht danach, woraus die Forderung resultiert, für die eine Sicherung oder Befriedigung gewährt worden ist. Nach ganz überwiegender Ansicht in der Rechtsprechung und im Schrifttum ist die Norm jedoch dahin teleologisch zu reduzieren, dass die Forderung, deren Erfüllung angefochten wird, auf einer vertraglichen Grundlage beruhen muss. Forderungen gesetzlicher Gläubiger, insbesondere solche des Fiskus und der Sozialversicherungsträger, sollen aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen sein. Diese Auffassung ist zutreffend.
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Kommentierung | InsO
§ 129 Grundsatz
Thole in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Rechtsprechung (Vorinstanz):
Insolvenzanfechtung der Zahlung von Einfuhrumsatzsteuer
OLG Düsseldorf vom 15.09.2022 - 12 U 7/22
ZIP 2023, 427
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