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BVerfG v. 21.10.2025 - 2 BvL 21/14

BFH-Vorlage zum Treaty Override in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EstG unzulässig

Das BVerfG hat die Unzulässigkeit einer Richtervorlage zum Treaty Override festgestellt. Die Vorlage des BFH betraf zwei Vorschriften aus dem internationalen Steuerrecht: die Regelung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG sowie die hiermit zusammenhängende Anwendungsbestimmung in § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG. Der BFH hat nicht hinreichend begründet, weshalb es für eine Entscheidung des Ausgangsverfahrens auf die Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Normen ankommen sollte.

Hintergrund:
§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG schließt die Anwendung der in einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) vereinbarten Ausnahmen von der deutschen Besteuerung unter bestimmten Voraussetzungen aus (Treaty Override). Mit der zweitgenannten Vorschrift bestimmte der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG und weiteren, in anderen Regelungen angeordneten Ausschlüssen der Anwendung von DBA. Diese Vorschrift wurde vom Gesetzgeber im Jahre 2013 mit Wirkung auch für die Vergangenheit neugefasst. Der BFH hatte die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber durch das Grundgesetz verpflichtet werde, Völkervertragsrecht zu beachten. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG könne danach keinen Bestand haben, weil ein Rechtfertigungsgrund für die Verletzung von Völkervertragsrecht nicht zu erkennen sei. Darüber hinaus sei die rückwirkende Neufassung der in § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG enthaltenen Anwendungsbestimmung wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig.

Der Sachverhalt:
Nach den Regelungen eines zwischen Deutschland und Irland vereinbarten Doppelbesteuerungsabkommens aus dem Jahre 1962 (DBA) sind bestimmte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer freigestellt.

Der Besteuerungsvorbehalt nach § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG betrifft in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtige. Die Nr. 2 der Regelung schließt die Anwendung der in einem DBA vereinbarten Ausnahmen von der deutschen Besteuerung aus, wenn die Einkünfte nur deshalb im anderen Staat nicht der Besteuerung unterliegen, weil der Steuerpflichtige nicht im anderen Staat aufgrund seines Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, des Ortes seiner Geschäftsleitung, des Sitzes oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens erzielte in den Jahren 2007 bis 2010 als Pilot bei einer Fluggesellschaft mit Sitz in Irland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Seinen Wohnsitz hatte er in diesem Zeitraum in Deutschland. Von der Fluggesellschaft zunächst einbehaltene und an die irische Finanzbehörde abgeführte Steuern wurden dem Kläger auf seinen Antrag hin in voller Höhe erstattet. Das Finanzamt in Deutschland zog den Kläger unter vollständiger Berücksichtigung dieser Einkünfte zur Einkommensteuer heran.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage vollumfänglich statt. Nach Zulassung der vom Finanzamt erstrebten Revision setzte der BFH das Revisionsverfahren aus und legte es dem BVerfG zur Entscheidung darüber vor, ob u.a. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG verstößt. Das BVerfG stellte nunmehr die Unzulässigkeit der Richtervorlage fest.

Die Gründe:
Die Vorlage ist unzulässig. Der BFH begründet nicht hinreichend, weshalb es für eine Entscheidung des Ausgangsverfahrens auf die Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm ankommen sollte.

Der BFH setzt sich schon nicht mit sämtlichen Voraussetzungen des im Ausgangsverfahren einschlägigen DBA auseinander. Er prüft die dort vorgesehenen Voraussetzungen für eine Freistellung der Einkünfte des Klägers von der deutschen Einkommensteuer nur unvollständig. Auch begründet er nicht hinreichend, dass die Voraussetzungen des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG im Ausgangsverfahren vorlägen. Den Erwägungen des BFH kann bereits nicht entnommen werden, dass die Einkünfte des Klägers "nur deshalb" in Irland nicht steuerpflichtig sind, weil der Kläger dort nicht aufgrund seines Wohnsitzes, seines ständigen Aufenthalts oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist. Ausführungen hierzu lässt der Vorlagebeschluss vermissen.

Darüber hinaus legt der BFH nicht hinreichend deutlich dar, weshalb die Einkünfte des Klägers in Irland insgesamt nicht steuerpflichtig sein, also auch keiner beschränkten Steuerpflicht unterliegen sollen. Zwar verweist er darauf, dass das FG entsprechende Feststellungen zur irischen Rechtslage getroffen habe, an die er revisionsrechtlich gebunden sei. Er hätte dies jedoch näher begründen und insbesondere erläutern müssen, warum den Ausführungen des FG revisionsrechtlich bindende Feststellungen zum Inhalt des irischen Steuerrechts zu entnehmen sein sollen.

Das FG vermittelt in seinem Urteil nämlich keinen über kursorische Ausführungen hinausgehenden Überblick über den Inhalt des irischen Steuerrechts. Es beschränkt sich darauf, ohne Begründung und ohne Angabe einer Erkenntnisquelle ein Ergebnis der Anwendung des irischen Steuerrechts anzunehmen, nämlich einen in Irland bestehenden Verzicht auf die Einkommensbesteuerung. Dass darin vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BFH zu den Anforderungen an die Ermittlung ausländischen Rechts eine hinreichende, das Revisionsgericht bindende Feststellung liegen soll, wäre vom BFH hier näher zu begründen gewesen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.11.2025 08:43
Quelle: BVerfG PM Nr. 101 vom 12.11.2025

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