Otto Schmidt Verlag


Aktuell in der ISR

Aktuelle Rechtsprechung zur Definition der Betriebsstätte (Ditz/Spychalski, ISR 2024, 193)

Die Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit der Betriebsstättenbesteuerung sind vielfältig. Sie resultieren oftmals aus dem Begriff der Betriebsstätte nach § 12 AO und Art. 5 OECD-MA (bzw. den diesem nachgebildeten abkommensrechtlichen Regelungen). Und obwohl die abkommensrechtliche Betriebsstättendefinition des Art. 5 OECD-MA auf eine mittlerweile fast 100-jährige Tradition zurückblickt, sind grundsätzliche Fragen der Auslegung der Voraussetzungen einer Betriebsstätte nach wie vor umstritten. Vor diesem Hintergrund hatte der BFH in jüngster Zeit in mehreren Entscheidungen Gelegenheit, sich mit dem Betriebsstättenbegriff auseinanderzusetzen. Gegenstand des Beitrags ist es, diese Entscheidungen kritisch zu analysieren und in die bisherige Rechtsprechung zum Betriebsstättenbegriff einzuordnen.


I. Einleitung

II. Betriebsstätte bei Einschaltung einer Dienstleistungsgesellschaft (BFH v. 23.3.2022 – III R 35/20)

1. Hintergrund

2. Sachverhalt

3. Entscheidung des BFH

4. Würdigung

III. Betriebsstätte bei der Erbringung von Wartungsleistungen (BFH v. 7.6.2023 – I R 47/20)

1. Hintergrund

2. Sachverhalt

3. Entscheidung des BFH

4. Würdigung

a) Überlassung personenbeschränkter Nutzungsstrukturen

b) Auseinandersetzung mit der abkommensrechtlichen Betriebsstättendefinition

c) Entscheidung anhand einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts

d) Gewinnabgrenzung

IV. Betriebsstätte in einer Taxifunkzentrale (FG Baden-Württemberg v. 14.10.2021 – 3 K 589/19)

1. Sachverhalt

2. Entscheidung des FG Baden-Württemberg

3. Würdigung

a) (Erneute) Beurteilung von personenbeschränkten Nutzungsstrukturen

b) „Feste“ Verbindung der personenbeschränkten Nutzungsstrukturen

c) Gewinnabgrenzung

V. Fazit


I. Einleitung

Die internationale Besteuerung von Betriebsstätten zieht seit jeher gleichsam wissenschaftlich interessante und praxisrelevante Fragestellungen an. Wolfgang Ritter hätte dieses Phänomen bereits im Jahr 1976 nicht zutreffender zusammenfassen können: „Zu den frühesten und durch alle Zeiten häufigen Formen unternehmerischer Betätigung im Ausland gehört die Betriebsstätte. Umso verwunderlicher ist es, dass ihre steuerliche Behandlung selbst in grundlegenden Fragen heute noch vielfach ungeklärt und systematisch ungereimt erscheinen will. Mein Vortrag ließe sich daher auch als Beitrag zu dem umfassenden Thema: ‚Deine Betriebsstätte, das unbekannte Wesen‘ begreifen.“ Und obwohl sich unser Wirtschaftsleben und das internationale Steuerrecht seitdem wesentlich weiterentwickelt haben, stellen sich fast 50 Jahre später immer noch grundlegende Fragen im Zusammenhang mit der Besteuerung von Betriebsstätten. Mit anderen Worten ist unser rechtliches Verständnis über die Betriebstätte immer noch mit Unsicherheiten behaftet. Wir kennen das Wesen immer noch nicht.

Die der Besteuerung der Betriebsstätte anhaftenden Rechtsunsicherheiten sind mannigfaltig; sie betreffen auch die Frage der Definition der Betriebsstätte gem. § 12 AO und Art. 5 OECD-MA (präziser: Art. 5 des dem OECD-MA nachgebildeten, einschlägigen DBA). Wenngleich die abkommensrechtliche Definition der Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 OECD-MA auf eine fast 100-jährige Tradition zurückblickt – eine erste abstrakte Definition wurde mit dem DBA Deutschland/Italien im Jahr 1925 eingeführt, sind immer noch grundlegende Fragen zur Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen der Betriebsstätte umstritten. Dies betrifft etwa:

  • Was bedeutet eine „Geschäftseinrichtung oder Anlage“; reicht hier bereits ein Minimum an einem körperlichen Gegenstand (z.B. ein Spind) aus?
  • Welche Voraussetzungen sind an die „Verfügungsmacht“ über die Geschäftseinrichtung oder Anlage zu stellen? Kann etwa die reine Erbringung einer Dienstleistung eine Verfügungsmacht begründen?
  • Wie weit muss die von der Rechtsprechung geforderte „Verwurzelung“ mit dem Quellenstaat reichen?
  • Was bedeutet konkret die dem Begriff der festen Geschäftseinrichtung immanente „feste Verbindung mit der Erdoberfläche“?


Es ist offensichtlich, dass dieser steuerliche Nexus aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Mobilität, Informationstechnologie und Dienstleistungen im 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß ist.

Der BFH hatte in der jüngsten Vergangenheit die Gelegenheit, sich im Einzelnen mit den vorstehenden Fragen zu beschäftigen. Darüber hinaus ist ein weiteres Verfahren zur Definition der Betriebsstätte anhängig. Hier geht es darum, ob die Nutzung einer Taxifunkzentrale in der Schweiz eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 1 DBA Schweiz auslöst.

Nachfolgend werden die aktuellen Entscheidungen des BFH und des FG Baden-Württemberg zu den Tatbestandsvoraussetzungen einer Betriebsstätte gem. § 12 AO und Art. 5 OECD-MA im Einzelnen dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen.

II. Betriebsstätte bei Einschaltung einer Dienstleistungsgesellschaft (BFH v. 23.3.2022 – III R 35/20)

1. Hintergrund


Wesentliche Streitfrage der BFH-Entscheidung vom 23.3.2022 ist die Auslegung der „Verfügungsmacht über eine Geschäftseinrichtung“ als wesentliche Tatbestandsvoraussetzung einer Betriebsstätte. Konkret ist fraglich, ob ein im Wege des Outsourcings beauftragter Dienstleister für seinen Auftraggeber eine Betriebsstätte begründet. In diesem Zusammenhang hatte der BFH in seinem Urteil v. 24.8.2011 entschieden, dass ein Unternehmen auch in den Räumlichkeiten einer mit der Geschäftsleitung beauftragten Managementgesellschaft eine Betriebsstätte begründen kann, wenn die vertragliche Verantwortung von wesentlichen Aufgaben und des damit im Zusammenhang stehenden sachlichen sowie persönlichen Apparats das Unternehmen in die Lage versetzt, seinen operativen Tätigkeiten nachzugehen und in diesem Zuge die gebotene Verfügungsmacht über die entsprechenden Räumlichkeiten zu erlangen.

Eine solche „Überinterpretation“ des Tatbestands der Verfügungsmacht wurde im Schrifttum kritisiert; führt sie doch im Ergebnis dazu, dass (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.06.2024 14:17
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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