Otto Schmidt Verlag


Kurzbesprechung

Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen als fiktive Gewinnausschüttungen: "Saldierungsverbot", Teil-Nichtigkeit des § 14 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG 2002

1. Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen i.S. von § 14 Abs. 3 S. 1 KStG 2002 sind als rein rechnerische Differenzbeträge zu verstehen. Daher ist eine solche Mehrabführung der Höhe nach nicht auf den Betrag des handelsbilanziellen Jahresüberschusses begrenzt, den die Organgesellschaft (tatsächlich) an den Organträger abgeführt hat, sie kann auch nicht durch Saldierung mit weiteren vororganschaftlichen und/oder organschaftlichen Mehr- und Minderabführungen dem Betrag nach begrenzt werden (sog. geschäftsvorfallbezogene Betrachtungsweise; Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Indem die Mehrabführungen durch § 14 Abs. 3 S. 1 KStG 2002 als Gewinnausschüttungen fingiert werden, handelt es sich zugleich um entsprechende Leistungen i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002, die die in § 38 Abs. 2 KStG 2002 angeordnete Körperschaftsteuererhöhung auslösen (Bestätigung der Rechtsprechung).

BFH v. 10.4.2024 – I R 16/23 (I R 36/13)

BVerfGG § 78 Satz 1, § 82 Abs. 1;
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3;
KStG 2002 § 13 Abs. 3 Satz 1, § 14 Abs. 3 Satz 1, § 14 Abs. 3 Satz 4, § 34 Abs. 9 Nr. 4, § 38 Abs. 1 Satz 3, § 38 Abs. 2


Strittig ist, ob für sog. vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen, die nach § 14 Abs. 3 KStG 2002 als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger gelten, die Ausschüttungsbelastung nach § 38 Abs. 2 KStG 2002 herzustellen ist. Die Stpfl., eine ehemals gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, schloss am 25.10.2002 mit der an ihr zu 94,9 % beteiligten T GmbH einen Ergebnisabführungsvertrag ab (mit Wirkung ab dem 1.1.2002). Die fünfjährige Mindestlaufzeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG 2002 endete am 31.12.2006. Ab dem Jahr 2002 bildete die Stpfl. in der Handelsbilanz Rückstellungen für Instandhaltungen gem. § 249 Abs. 2 HGB, die in der Steuerbilanz wegen des Passivierungsverbots für Aufwandsrückstellungen nicht übernommen wurden. Nach Bildung dieser Rückstellungen wurden für die Streitjahre handelsrechtliche Gewinne i.H.v. 3.284.342 € (2004), 2.300.631 € (2005) und 2.569.643 € (2006) an die T GmbH abgeführt. Die handelsbilanziellen Mehrergebnisse und die handelsbilanziellen Minderergebnisse glichen sich in den Streitjahren – bei geringen Differenzen – jeweils aus.

Das beklagte FA behandelte die Summe der Mehrabschreibungen und der Mindererlöse als Gewinnausschüttungen i.S.d. § 14 Abs. 3 KStG 2002 und stellte dementsprechend bei der Stpfl. die körperschaftsteuerliche Ausschüttungsbelastung gem. § 38 KStG 2002 her. Die daraus resultierende Körperschaftsteuererhöhung führte in den Körperschaftsteuerbescheiden für die Streitjahre zu einer entsprechend höheren Festsetzung von Körperschaftsteuer. Die Rückstellungen für Bauinstandhaltung behandelte das FA als Gewinnrücklage nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 KStG 2002. Das FA erließ Bescheide über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. §§ 27, 28, 37 und § 38 Abs. 1 KStG, in dem es die Mehrabführungen sowie die darauf entfallenden Körperschaftsteuererhöhungen vom Einlagekonto abzog und das Einlagekonto um die in die Gewinnrücklage nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 KStG 2002 eingestellten Beträge als Minderabführungen nach § 27 Abs. 6 S. 2 KStG 2002 erhöhte. Die dagegen gerichtete Klage wies das FG Düsseldorf mit Urteil v. 15.4.2013 ab (Az. 6 K 4270/10 K,F).

Das gegen das Urteil eingelegte Revisionsverfahren hat der I. Senat mit Beschluss vom 27.11.2013 - I R 36/13 (BStBl II 2014, 651) ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 infolge Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verfassungswidrig sei. Mit Beschluss vom 14.12.2022 (2 BvL 7/13, 2 BvL 18/14) hat das BVerfG festgestellt, dass § 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 in bestimmten Sachverhaltskonstellationen gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) verstößt, und die Vorschrift teilweise für nichtig erklärt (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 Satz 1 BVerfGG). Unter dem Az. I R 16/23 (I R 36/13) wurde der Rechtsstreit wieder aufgenommen.

Der I. Senat hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen und urteilte, dass das FG zu Recht entschieden habe, dass die steuerlichen Mehrabschreibungen aufgrund des höheren steuerlichen Wertansatzes der Wohngebäude der Klägerin sowie die damit verbundenen geringeren Erträge aus dem Verkauf einzelner Grundstücke zu vororganschaftlich verursachten Mehrabführungen i.S.d. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 geführt haben, für die als Leistung i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 gem. § 38 Abs. 2 KStG 2002 eine entsprechende Körperschaftsteuererhöhung festzusetzen sei. § 14 Abs. 3 S. 1 KStG 2002 verstoße in der Konstellation des Streitfalls nicht gegen Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und unterliege deshalb nicht der Nichtigerklärung durch das BVerfG. Der Senat vertritt die Auffassung, dass der Begriff der Mehrabführung i.S.d. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 als rein rechnerische Differenz zwischen dem handelsbilanziellen Jahresüberschuss und dem Steuerbilanzgewinn zu verstehen ist und diesem Begriff zudem nicht das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal eines tatsächlichen Vermögensübergangs zu entnehmen ist. Der Senat hält an dieser Auslegung des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 nach nochmaliger Überprüfung fest.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.08.2024 14:29
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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