Otto Schmidt Verlag


Aktuell in der Ubg

IFRS und Maßgeblichkeitsgrundsatz (Kahle, Ubg 2024, 423)

Die Diskussion um die Bedeutung der IFRS für die steuerliche Gewinnermittlung war nach den Überlegungen zum Bilanzrechtsreformgesetz Ende 2004 aus guten Gründen weitgehend zur Ruhe gekommen. Sie lebte mit der Einführung der Zinsschranke und ihrem Bezug zu den IFRS im Zuge der Unternehmensteuerreform 2008 und bedeutenden Urteilen des BFH kurzfristig wieder auf. Neuerdings scheinen die IFRS auch für die steuerliche Gewinnermittlung an Relevanz zu gewinnen. Dieser Aufsatz soll zur Klarheit über die Eignung der IFRS für die Steuerbilanz beitragen.


I. Einleitung

II. Zum Status quo der Bedeutung der IFRS für die Steuerbilanz

1. Keine formelle IFRS-Maßgeblichkeit

2. Einstrahlung der IFRS auf die Steuerbilanz über § 5 Abs. 1 EStG?

3. Einfluss der IFRS auf die Steuerbilanz über die Rechtsprechung des EuGH?

4. Mindeststeuergesetz

5. BEFIT

III. Eignung der IFRS für die steuerliche Gewinnermittlung

1. Steuerliche Gewinnermittlung und die Zwecksetzung der IFRS

2. Steuerliche Gewinnermittlung und Investitionsentscheidungen

3. IFRS und Gleichmäßigkeit der Besteuerung

4. IFRS und die rechtliche Ordnung der Besteuerung

IV. Fazit und Ausblick


I. Einleitung

Das HGB wurde mit dem Bilanzrechtsreformgesetz Ende 2004 an die Vorgaben der EU-Verordnung vom Juni 2002 angepasst. Seit dem Jahr 2005 sind IFRS für Konzernabschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen grundsätzlich verbindlich (§ 315e Abs. 1, 2 HGB). Die EU-Mitgliedstaaten hatten ein Wahlrecht, die IFRS auch auf die Konzernabschlüsse nichtkapitalmarktorientierter Unternehmen und die Einzelabschlüsse auszudehnen (Art. 5 IFRS-VO). Die Anwendung der IFRS auch im Einzelabschluss wurde zwar schon früh gefordert, Deutschland hat aber nur ersteres Wahlrecht genutzt (§ 315e Abs. 3 HGB). Der Einzelabschluss nach HGB bleibt für alle Unternehmen erhalten. Beschränkt auf Informationszwecke wird großen Kapitalgesellschaften i.S.d. § 267 Abs. 3 HGB gestattet, zusätzlich einen Einzelabschluss nach IFRS aufzustellen (§ 325 Abs. 2a, 2b HGB). In der Praxis wird diese Möglichkeit wegen des größeren Aufwands faktisch nicht genutzt; offenbar besteht für Informationszwecke kein Bedarf an einem IFRS-Einzelabschluss. Eine Auswirkung auf das Maßgeblichkeitsprinzip (§ 5 Abs. 1 EStG) ergibt sich nicht.

Damit besteht derzeit kein direkter Zusammenhang zwischen den IFRS und dem Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 EStG), der in diesem Jahr auf eine 150-jährige Geschichte in Deutschland zurückblicken kann. Unstrittig zählen die nach § 315e HGB für den Konzernabschluss anzuwendenden IFRS nicht zu den GoB i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG. Aus guten Gründen hatte der Gesetzgeber seinerzeit auf eine Übernahme der IFRS in den Einzelabschluss verzichtet. Die im Schrifttum betonte Gefahr, das Maßgeblichkeitsprinzip sei angesichts der Internationalisierung der Rechnungslegung in seinem Bestand erheblich bedroht, blitzte in der Vergangenheit nur kurz auf, indem vereinzelt gefordert wurde, die IFRS mittelfristig auch befreiend für den Einzelabschluss zuzulassen. Neuerdings wird diese Diskussion im Schrifttum und in der Praxis aber neu belebt. Das DRSC nimmt derzeit eine Evaluation zur Anwendung der IFRS in Deutschland vor, bei der auch die Möglichkeiten und Grenzen einer befreienden Anwendung der IFRS im Einzelabschluss zur Diskussion stehen. Mit Blick auf Pillar 2 und das Mindeststeuergesetz wird eine Reform des Bilanzsteuerrechts und die Abschaffung des Maßgeblichkeitsprinzips gefordert. Auch wenn die Argumente für und gegen eine Anwendung der IFRS im Einzelabschluss seit 2004 im Grunde unverändert sind, wird im Schrifttum die Frage gestellt, ob die Zeit reif ist für eine befreiende Anwendung der IFRS im Einzelabschluss deutscher Unternehmen. Auch der am 12.7.2024 präsentierte Abschlussbericht der vom BMF eingesetzten Expertenkommission „Vereinfachte Unternehmensteuer“ geht der Diskussion um die Frage nach der Relevanz der IFRS für die steuerliche Gewinnermittlung nach.

Diese Entwicklung wird in diesem Beitrag zum Anlass genommen, den derzeitigen und zukünftigen Einfluss der IFRS auf die steuerliche Gewinnermittlung zu erörtern und zu würdigen. Nach einem Überblick über den aktuellen Stand der Bedeutung der IFRS für die steuerliche Gewinnermittlung (Punkt II.) wird ihre Eignung für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung diskutiert (Punkt III.), um mit einem Fazit (Punkt IV.) zu schließen.

II. Zum Status quo der Bedeutung der IFRS für die Steuerbilanz

1. Keine formelle IFRS-Maßgeblichkeit


Die handelsrechtlichen GoB wurden nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch nach dem BilMoG beibehalten. An den bisherigen Grundprinzipien des Bilanzrechts wurde festgehalten. Eine Fortentwicklung in Richtung der Informationsfunktion, die in der internationalen Rechnungslegung dominierend ist, sollte nur insoweit erfolgen, als die Ausschüttungsbemessungsfunktion tatsächlich nicht gefährdet wird. Zugunsten einer verbesserten Informationsvermittlung wurde das Vorsichtsprinzip zwar teilweise zurückgedrängt (vgl. insbesondere § 248 Abs. 2 HGB), dem wird aber bei Kapitalgesellschaften sowie haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften durch (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.08.2024 14:54
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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